Sind Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei der Übersetzung nachweisbar?
Thread poster: Georgij1981
May 17, 2010

Hallo,

ich bin Einzelunternehmer im Übersetzungsbereich und will mit einer deutschen Übersetzungsfirma einen Vertrag schließen. Jeder Vertrag hat einen Punkt "Haftung". Laut BGB kann die Haftung von den Parteien frei vereinbart werden und u.a. dem Betrag des konkreten Einzelauftrags gleich sein, wenn es nicht um Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit geht.

ist es theoretisch doch möglich oder nicht, bei der fertigen schriftlichen Übersetzung, die schon der Kunde bekomm
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Hallo,

ich bin Einzelunternehmer im Übersetzungsbereich und will mit einer deutschen Übersetzungsfirma einen Vertrag schließen. Jeder Vertrag hat einen Punkt "Haftung". Laut BGB kann die Haftung von den Parteien frei vereinbart werden und u.a. dem Betrag des konkreten Einzelauftrags gleich sein, wenn es nicht um Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit geht.

ist es theoretisch doch möglich oder nicht, bei der fertigen schriftlichen Übersetzung, die schon der Kunde bekommen hat und in dem Fehler aufgedeckt worden sind, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit juristisch zu beweisen?

wie ich meine, der Vorsatz ist in diesem Fall überhaupt nicht nachweisbar, oder irre ich mich?

und um die grobe Fahrlässigkeit kann es sich handeln, nur wenn es dort etwas völlig Unsinniges und Störendes gibt (z.B. anstatt "nicht öffnen - Strom"! ist dies geschrieben - "hier bitte öffnen")
oder kann die Fahrlässigkeit bei kleineren Ungenauigkeiten nachgewiesen werden?

wenn der Kunde einen Übersetzungsfehler aufdeckt, kann oder darf er dem Übersetzer zu Last legen, dass der letztere sich dabei eine grobe Fahrlässigkeit zuschulden kommen lassen hat?

wenn ja, wodurch diese Erklärung nachgewiesen werden kann?

und wie steht es mit der mündlichen Übersetzung?

vielen Dank im voraus

mit freundlichen Grüßen,
Georgij
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Nadine Kahn
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Grobe Fahrlässigkeit nachweisbar May 17, 2010

Georgij1981 wrote:

Hallo,

ich bin Einzelunternehmer im Übersetzungsbereich und will mit einer deutschen Übersetzungsfirma einen Vertrag schließen. Jeder Vertrag hat einen Punkt "Haftung". Laut BGB kann die Haftung von den Parteien frei vereinbart werden und u.a. dem Betrag des konkreten Einzelauftrags gleich sein, wenn es nicht um Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit geht.

ist es theoretisch doch möglich oder nicht, bei der fertigen schriftlichen Übersetzung, die schon der Kunde bekommen hat und in dem Fehler aufgedeckt worden sind, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit juristisch zu beweisen?

wie ich meine, der Vorsatz ist in diesem Fall überhaupt nicht nachweisbar, oder irre ich mich?

und um die grobe Fahrlässigkeit kann es sich handeln, nur wenn es dort etwas völlig Unsinniges und Störendes gibt (z.B. anstatt "nicht öffnen - Strom"! ist dies geschrieben - "hier bitte öffnen")
oder kann die Fahrlässigkeit bei kleineren Ungenauigkeiten nachgewiesen werden?

wenn der Kunde einen Übersetzungsfehler aufdeckt, kann oder darf er dem Übersetzer zu Last legen, dass der letztere sich dabei eine grobe Fahrlässigkeit zuschulden kommen lassen hat?

wenn ja, wodurch diese Erklärung nachgewiesen werden kann?

und wie steht es mit der mündlichen Übersetzung?

vielen Dank im voraus

mit freundlichen Grüßen,
Georgij


Hi Georgij,

M. E. ist es natürlich möglich, hier grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen. Auch vom Kunden noch. Fehler, die z. B. mit einer nachträglichen Rechtschreibprüfung nicht entstanden wären, aber auch inhaltliche Fehler, die einem geprüften Übersetzer entgangen sind. Auswirkungen, die aufgrund falscher Übersetzung lebensgefährdend sind ebenso. Im Zweifelsfall ist aber der Kunde in der Beweispflicht und muss den entstandenen Schaden nachweisen können. Ich würde sagen, dass es bei guten Geschäftspartnern immer noch die Regel ist, einen Text nachbessern zu dürfen. Wenn natürlich bereits Texte in Druck gegeben wurden, kann es u. U. teuer werden. Inwieweit sich das auf den Übersetzer auswirken kann, muss ein Vertrag regeln.

Ich habe nachfolgend einmal einige Punkte aufgelistet, die eine Vermögenshaftpflichtversicherung für Übersetzer/Dolmetscher abdecken kann. Das sind wirklich schwerwiegende Auswirkungen!

Dolmetscher, Übersetzer

- Fehler bei der Übersetzung, der zur Folge hat, dass ein Werk (Broschüre, Buch etc.) neu gedruckt werden muss
- Verlust der zu übersetzenden Schriftstücke oder Tonträger
- Fehler bei der Simultanübersetzung in Vertragsverhandlungen, der dazu führt, dass ein erneuter Termin mit Folgekosten stattfinden muss.


a) Aufwendungen Dritter für die Wiederbeschaffung gelöschter / blockierter Daten (Kosten der Erarbeitung, Wiedererfassung auf Datenträger und maschinellen Aufarbeitung der Daten) durch Programmfehler, Fehlbedienung oder fehlerhafte Anleitung / Einweisung seitens des Versicherungsnehmers.

Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, dass der Versicherungsnehmer nachweist, dass
vor Beginn der Arbeiten eine dem Stand der Technik entsprechende Datensicherung (z. B.
"Back-up", "RAID" etc.) durchgeführt wurde. Soweit nicht besonders vereinbart, ist die Entschädigungsleistung des Versicherers im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme begrenzt auf 25.000 EURO (Sublimit).

b) Ansprüche wegen Schäden, die durch "Software-Viren", "Trojanische Pferde" und dergleichen sowie dadurch entstanden sind, dass Dritte von Außen auf Daten oder deren Übertragung in Datennetzen Einfluss nehmen, Datenmanipulationen durchführen oder unbefugt Einsicht in den Datenbestand nehmen (z. B. "Computer-Hacker").

Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist jedoch, dass der Versicherungsnehmer nachweist, dass weitergegebene Software sowie das eigene System standardmäßig nach dem neuesten Stand der Technik (z. B. durch "Firewalls", "Virenscanner" etc.) auf Viren und ähnliche Sabotageprogramme hin überprüft, bzw. mittels solcher Techniken Vorkehrungen gegen unberechtigte Eingriffe Dritter getroffen werden. Soweit nicht besonders vereinbart, ist die Entschädigungsleistung des Versicherers im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme begrenzt auf 25.000 EURO (Sublimit).

HTH

Nadine

[Edited at 2010-05-17 18:41 GMT]


 
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Danke May 17, 2010

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In memoriam
Hier dürfte wohl Vorsatz nachweisbar sein: May 18, 2010



 
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Vorsatz May 18, 2010

Jetzt bin ich aber sehr beeindruckt, Nicole - ich wußte nicht, daß du chinesisch lesen kannst! Wie sollten die Gerichte eigentlich richtig heißen?

 
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Kann man eigentlich... May 18, 2010

gegen Maschinen vorgehen? (natürlich nur im Scherz gefragt)

[Edited at 2010-05-18 04:25 GMT]


 
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Fahrlässigkeit und grobe Fahrlässigkeit May 18, 2010

Ich muss mich korrigieren. Unter Fahrlässigkeit fallen sicherlich oben genannte Punkte bzw. Flüchtigkeitsfehler, aber bei grober Fahrlässigkeit muss schon Gravierendes passiert sein.

"Eine grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde. Nach einer Formel der Rspr. ist dies der Fall, wenn einfachste Überlegungen nicht angestellt wurden und nicht beachtet wurden. Bsp: Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkei
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Ich muss mich korrigieren. Unter Fahrlässigkeit fallen sicherlich oben genannte Punkte bzw. Flüchtigkeitsfehler, aber bei grober Fahrlässigkeit muss schon Gravierendes passiert sein.

"Eine grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde. Nach einer Formel der Rspr. ist dies der Fall, wenn einfachste Überlegungen nicht angestellt wurden und nicht beachtet wurden. Bsp: Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 100%, Überholen bei dichtem Nebel."

Vorsatz ist natürlich nicht so einfach nachzuweisen.

"Die mildeste Vorsatzform verlangt nur, dass man eine bestimmte Folge (also z.B. Pflichtverletzung) zwar nicht direkt will, sich aber mit ihr abfindet, wenn sie denn doch eintreten sollte."

Wenn es darum geht, dieses zu beweisen, ist es natürlich schwieriger. Im Zivilrecht gilt da ein objektivierter Maßstab. Es kommt also nicht darauf an, ob man selbst sein Bestes gegeben hat, sondern ob die Leistung noch dem entspricht, was ein durchschnittlicher Typ in dieser Berufsgruppe so anstellt. Ich frage mich allerdings, wer da als Mittelmaß gelten könnte...
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Kamil Gwozdz
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Hallo Nadine, May 18, 2010

eine jede durch einen professionellen Übersetzer im Rahmen seiner Tätigkeit als solcher erstellte unrichtige Übersetzung wird als fahrlässig anzusehen sein und die entsprechende Haftung auslösen können. Der Übersetzer hat dafür zu sorgen, dass er richtig übersetzt. Wenn er das nicht kann, etwa wegen schlechter Organisation seines Unternehmens oder Überarbeitung, dann ist er eben in der Haftung.

Die Definition von "grob fahrlässig" hast Du ja schon genannt, vereinfacht for
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eine jede durch einen professionellen Übersetzer im Rahmen seiner Tätigkeit als solcher erstellte unrichtige Übersetzung wird als fahrlässig anzusehen sein und die entsprechende Haftung auslösen können. Der Übersetzer hat dafür zu sorgen, dass er richtig übersetzt. Wenn er das nicht kann, etwa wegen schlechter Organisation seines Unternehmens oder Überarbeitung, dann ist er eben in der Haftung.

Die Definition von "grob fahrlässig" hast Du ja schon genannt, vereinfacht formuliert liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn der Fehler für jedermann (aus dem entsprechenden Verkehrskreis) sofort erkennbar ist. Die von der Kollegin oben genannten Beispiele dürften zumindest auf grobe Fahrlässigkeit hindeuten.

Vorsatz ist Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung, also beides Dinge, die sich eigentlich nur im Kopf abspielen, so dass es theoretisch unmöglich wäre, Vorsatz zu beweisen.
Das hat die Rechtsprechung aber noch nie gestört, Vorsatz wird eben anhand objektiver Kriterien bestimmt. Der gebildete Wille manifestiert sich ja in irgendeiner Weise nach außen. Um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben: Wenn diese Übersetzung von einem Übersetzer stammt, der zu einer richtigen Übersetzung in der Lage wäre, und er möglicherweise Gründe dafür hatte, den Auftraggeber nicht besonders zu mögen, weil er etwa sein letztes Honorar nicht bezahlt hat, dann könnte man tatsächlich auch Vorsatz annehmen.

Viele Grüße
Kamil

Aha, dies ist keine Rechtsberatung sondern eine allgemeine Darstellung der Rechtslage. Haftung ausgeschlossen
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Georgij1981
Georgij1981
TOPIC STARTER
Vertragsformulierung May 18, 2010

Sehr geehrte Kollegen,
vielen Dank für alle Antworten.

doch wie ist dann dieser Vertragspunkt (Haftung des Übersetzers) in diesem Zusammenhang richtig zu formulieren?

es ist anzugeben, dass der Übersetzer die Haftung im vollen Umfang nur im Falle des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit trägt,

weiter sind Begriffe und Anwendungsgrenzen des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit zu erläutern,

weiter ist anzugeben, dass die Haftu
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Sehr geehrte Kollegen,
vielen Dank für alle Antworten.

doch wie ist dann dieser Vertragspunkt (Haftung des Übersetzers) in diesem Zusammenhang richtig zu formulieren?

es ist anzugeben, dass der Übersetzer die Haftung im vollen Umfang nur im Falle des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit trägt,

weiter sind Begriffe und Anwendungsgrenzen des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit zu erläutern,

weiter ist anzugeben, dass die Haftung in anderen Fällen den konrketen Auftrag nicht überschreiten kann

und ist hinzuzufügen, dass eine Frist für die Nachbesserung der Übersetzung unbedingt vorzusehen ist.

So ungefähr, oder ist noch etwas erforderlich?

Danke

[Edited at 2010-05-18 20:34 GMT]
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Nicole Schnell
Nicole Schnell  Identity Verified
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In memoriam
Hach, sehr lustig. :-) May 19, 2010

Gisela Greenlee wrote:

Jetzt bin ich aber sehr beeindruckt, Nicole - ich wußte nicht, daß du chinesisch lesen kannst! Wie sollten die Gerichte eigentlich richtig heißen?




 


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